Zu lieb oder zu hart?

„Ich will aber jetzt ein Keks haben!“, schreit die vierjährige Lea. „Mein Schatz, du weißt, die Kekse sind die Nachspeise. Wir essen jetzt bald und dann kannst du zwei Kekse haben!“, versucht Linda ihre Tochter zu beruhigen. – „Nein jetzt! Ich hab’ so Hunger!“ – „Wenn du so Hunger hast, kannst du noch ein Stück Apfel haben, aber etwas Süßes essen wir immer erst nach dem Essen! Du weißt das.“ Lea schmeißt sich auf den Boden und schreit noch ärgerlicher. Das hält die Großmutter, die der Szene bis jetzt schweigend bei-gewohnt hat, nicht mehr aus: „So gib ihr doch einen Keks – du kannst sie doch nicht so schreien lassen!“

Immer wieder stehen Eltern vor der Frage, was sie von ihrem Kind verlangen sollen und ob sie nicht manchmal zu hart sind – vor allem dann, wenn das Kind lautstark seinen Unmut äußert oder Beobachter ihr Unverständnis zeigen. Sollte Lea besser ein Keks bekommen, wenn es für sie so schwierig ist zu warten? Wie kann es gelingen, sinnvolle Regeln aufzustellen und einzufordern? Im Allgemeinen ist es so, dass gleichbleibende Regeln Kindern Sicherheit vermitteln. Sie wissen dann, in welchem Rahmen sie sich bewegen und was von ihnen erwartet wird. Trotzdem sind Kinder von ihren momentanen Wünschen gesteuert. Lea sieht das Keks und will es einfach sofort haben – ein an sich für Kinder normales Verhalten. Wenn Lea das Keks jetzt nicht haben kann, ist das für sie ärgerlich. Leas Mutter lässt sich trotzdem nicht von den momentanen Wünschen ihrer Tochter überrumpeln und behält das längerfristige Wohl des Kindes im Auge: Lea soll mit Appetit das Mittagessen essen und lernen, nicht alles sofort haben zu müssen. Daher erinnert sie Lea an die bereits bekannte Regel und lässt sich von dem Protest nicht beeindrucken. Gleichzeitig geht sie auf das „Hungergefühl“ ein und bietet eine Alternative – ein StückApfel – die nicht den ganzen Appetit verdirbt. Lea ist trotzdem ganz von dem Gusto auf das Keks gefangengenommen und beginnt noch stärker zu schreien. Genau das ist der Punkt, an dem das Kind durch das Verhalten der Mutter zu lernen beginnt: wenn ihr Linda jetzt doch den Keks gibt, lernt Lea,dass es nur lang und laut genug schreien muss, damit sie etwas bekommt, was eigentlich nicht vorgesehen wäre. Lea kennt dann zwar die Regel: Keine Süßigkeiten vor dem Essen; sie hat aber nicht die Sicherheit, dass diese Vereinbarung auch immer gilt. Heute konnte ja die Regel durch ihren lautstarken Protest gebrochen werden. Lea wird bei nächster Gelegenheit wieder probieren, was passiert, wenn sie schreit. Wenn hingegen Linda trotz heftigen Widerspruchs fest bleibt, lernt Lea mit der Zeit zu warten und merkt, dass die Regel wirklich immer gilt und Mama auch durch solche Gebärden wie an diesem Tag nicht umzustimmen ist. So wird sie es viel seltener nötig haben, die Regeln auszutesten.

Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist es, dass es nur wenige, einfache und für das Kind leicht verständliche Regeln gibt. Diese sollten dann aber auch eingefordert werden, liebevoll und konse-quent. Es ist hilfreich, wenn Sie als Eltern drei bis fünf Regeln festlegen, über die Sie sich einig sind und bei denen Sie sicher sind, dass sie für das langfristige Wohl des Kindes und für ein harmonisches Zusammenleben wichtig sind. So werden sie weniger Mühe haben, auch in schwierigeren Situationen aus Liebe zu ihrem Kind stark und fest zu bleiben.

Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.