Claudia geht nachdenklich die letzten Meter zu ihrer Wohnung. Sie kommt von einem Ausflug mit ihren ehemaligen Schulfreundinnen, auf dem es zu einem unangenehmen Streitgespräch gekommen ist. Zuhause sitzen die drei Kinder im Pyjama vor dem Fernseher. „Hallo! Was in aller Welt macht ihr da?“ – „Papi hat uns erlaubt diese DVD anzuschauen“, erklärt die fünfjährige Elena. „Typisch –so hab‘ ich mir das vorgestellt, wenn Papi mal auf euch aufpassen soll! Wo ist euer Vater überhaupt?“, zischt Claudia noch mehr verärgert. – „Der muss auf dem Computer etwas arbeiten!“, weiß Max. Luisa, die Dreijährige fragt besorgt: „Mami, bist du jetzt böse auf uns?“
Manchmal platzt ein heimkommender Elternteil in eine Familiensituation, die fast automatisch Unzufriedenheit oder Ärger auslöst. Was kann hinter einer solchen explosiven Dynamik stecken? Im oben beschriebenen Fall kommt Claudia schon mit einer unbehaglichen Grundstimmung, die an sich gar nichts mit ihrer Familie zu tun hatte, durch die Wohnungstüre. Der Anblick ihrer Kinder vor dem Fernseher lässt ihre Laune endgültig kippen. Möglicherweise findet Claudia schon länger, dass ihr Mann Felix sich nicht so mit den Kindern beschäftigt, wie sie es sich vorstellen würde. In ihr hat sich vielleicht der Eindruck festgesetzt: „Felix macht es sich mit den Kindern immer einfach.“ Ohne zu hinterfragen, was an diesem Tag vorher passiert ist, sieht sie ihre Vorannahme durch die augenblickliche Situation bestätigt. Durch ihre Bemerkung „Typisch – […]“ zieht sie die Kinder in den (vermeintlichen) Konflikt zwischen sich und ihrem Mann mit hinein und signalisiert den Kindern durch das distanzierte „[…] euer Vater […]“, dass eine Kluft zwischen den Eltern existiert, die vorerst allerdings nur in ihrem Kopf besteht. Die kleine Luisa wiederum bezieht die Verärgerung der Mutter sofort auf sich und befürchtet, dass sie etwas falsch gemacht hätte. Kinder neigen schnell dazu, sich selbst die Schuld an Streitigkeiten zwischen den Eltern zu geben.
Wie vermeidet man solch eine Eigendynamik – was könnte Claudia anders machen? Erstens wäre es hilfreich, dass Claudia sich ihrer negativen Stimmung bewusst wird und diese innerlicheindeutig von den Personen zuhause trennt. Manchmalist es gut, solche Ärgernisse für die anderen – besonders den Ehepartner – kurz anzusprechen: „Das war heute eine unangenehme Situation – ich bin immer noch gekränkt.“ Das hilft einerseits zur Abgrenzung aber auch dabei, die Familie als Hort des inneren Friedens für sich selbst zu erkennen. Zweitens wäre es klüger, wenn Claudia zuerst mit ihrem Mann sprechen und nicht aufgrund einer Momentaufnahme eine Zuschreibung machen würde: „Mein Mann lässt die Kinder immer nur fernse-hen“, oder so ähnlich. Kindern gegenüber ist es immer besser, sich mit einer positiven Grundannahme hinter den Ehepartner zu stellen, z.B.: „Aha – ich verstehe nicht, warum Papi so und so entschieden hat – ich werde ihn fragen. Sicher hat er seine Gründe dafür“. So stärkt man die gegenseitige Wertschätzung und verhindert Parteiungen.
Drittens ist es wichtig, Uneinigkeiten im Familienleben und in der Erziehung in geeigneter Atmosphäre zu besprechen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Wenn Claudia findet, dass die Kinder unter Felix‘ Aufsicht zu viel fernsehen, sollte sie das einmal in Ruhe zur Sprache bringen, damit es nicht in einer unpassenden Situation plötzlich „aufpoppt“ und über die Kinder ausgetragen wird. Eltern sollten sich gegenseitig unterstützen und dabei auch die persönliche Eigenart des anderen ak-zeptieren und als Bereicherung im täglichen Miteinander entdecken lernen. Die gelungene Kommunikation zwischen den Ehepartnern ist eine wichtige Säule einer positiven Familienatmosphäre, die Kindern Sicherheit und Geborgenheit schenkt.
Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.