Verschiedene Temperamente III – das melancholische Kind

Marie durfte heute gleich nach dem Kindergarten mit ihrer Freundin Sophie mitkommen, bei ihr Mittag essen und dann spielen. Am Nachmittag wird sie von ihrer Mutter Carmen abgeholt, damit sie rechtzeitig um 16:00 Uhr zum Kinderturnen gehen kann. Schon auf dem Weg zum Turnen ist Marie sehr schweigsam und bricht dann, als sie aussteigen soll, in Tränen aus: „Ich will heute nicht dahin, ich will nach Hause!“ – „Aber geh! Das macht dir sonst doch solchen Spaß! Komm schon! Und – hast du schon vergessen? Oma holt dich heute ab! Sie geht doch heute mit dir neue Schuhe kaufen!“, redet Carmen auf ihre Tochter ein, während sie Marie Richtung Turnsaal schiebt.

Warum fällt es Marie heute so schwer, in ihr sonst so geliebtes Kinderturnen zu gehen? Eine von vielen möglichen Ursachen könnte sein, dass Marie nach so vielen Stunden mit verschiedenen sozialen Kontakten – zuerst im Kindergarten und dann in der Familie ihrer Freundin – erst einmal die Ruhe und die gewohnte Umgebung ihres Zuhauses braucht. So sehr extrovertierte Menschen Gesellschaft lieben und gar nicht so gerne mit sich alleine sind, so sehr brauchen eher introvertierte Menschen auch eine Zeit der Zurückgezogenheit, um das Erlebte innerlich zu verarbeiten. Für Eltern ist es hilfreich, um diese Verschiedenheit der Temperamente zu wissen, um darauf Rücksicht nehmen zu können. Carmen könnte schon in der Tagesplanung darauf achten, dass Marie, wenn möglich, nicht von einem „Termin in den nächsten stürzen“ muss. Ohne wiederum die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen zu missachten, könnte man dieses Bedürfnis nach „Zeit mit sich alleine“ als typisch für einen melancholisch veranlagten Menschen bezeichnen.

Solche Kinder sind sehr sensibel, können lange ruhig zuhören und sind reflexiv. Da sie sehr langsam auf Ereignisse von außen reagieren, kann man oft erst abends an der Bettkante sitzend heraushören, was sie untertags beschäftigt hat. Die an sich sehr positive Fähigkeit zu reflektieren birgt andererseits die Gefahr, dass diese Kinder egozentrisch und überempfindlich werden. So neigen melancholisch veranlagte Kinder eher dazu, das Negative wahrzunehmen und Schlimmes zu befürchten. Daher brauchen sie immer wieder Unterstützung dabei, auch das Positive zu sehen, sich an Neues zu wagen und sich nicht nur in der vertrauten Umgebung abzuschließen. Unternehmungen mit wenigen Kindern und Aktivitäten in kleinen Gruppen sind da hilfreich. Aber eben nicht zu viele. Melancholisch veranlagte Kinder haben eine hohe Leistungsbereitschaft und brauchen Ideale. Gleichzeitig ist es wichtig, sie dabei zu unterstützen, nicht in Perfektionismus zu verfallen und an allem, was ihnen nicht so gut gelingt, gleich zu verzweifeln. Besonders beim Schuleintritt ist es für diese Kinder entlastend, wenn immer wieder klar gestellt wird, dass man auch Fehler machen darf und nicht immer alles perfekt sein muss.

Gerechtigkeit, klare Prinzipen und Verlässlichkeit sind diesen Kindern besonders wichtig. Eltern sollt en Abmachungen unbedingt einhalten. Mit der Geborgenheit und der Wärme eines harmonischen Zuhauses werden auch diese Kinder „den Schritt in die Welt hinaus wagen“.

Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.  

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