Verschiedene Temperamente II – das cholerische Kind

Emilie – fünf Jahre alt – rempelt ihre Mutter Gerda unwillig mit ihrem Arm an und schnaubt: „Du rufst Linas Mami nicht an. Ich kann das selber.“ – „Emilie, ich will nicht, dass du mich mit deinem Ellenbogen stößt. Also, du möchtest gerne selber anrufen und Lina fragen, ob sie am Nachmittag zum Spielen kommen darf?“, fragt Gerda ruhig, aber bestimmt. – „Ja!“, schreit Emilie und schnappt sich das Telefon vom Tisch. – „Moment! Leg bitte das Telefon zurück. Wir können es so machen: Du rufst an und sprichst mit Lina. Ich möchte dann aber noch mit Linas Mami besprechen , wie wir das machen! Okay?“ Zufrieden nickt Emilie mit dem Kopf.

Emilie scheint gerne die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ja, es ist für sie richtig ärgerlich, wenn ihre Mutter etwas für sie erledigen will, was sie selbst schon zu können meint. Ohne einen Menschen in ein „Kästchen mit Etikett“ werfen zu wollen, kön nte man diesen Drang zur Selbstständigkeit als typisch für ein cholerisches Temperament bezeichnen . Jemanden einen „Choleriker“ zu nennen, ist meist negativ besetzt, und wird den vielen positiven Eigenschaften dieses Temperaments nicht gerecht. Cholerisch veranlagte Menschen reagieren einerseits auf Ereignisse von außen schnell und intensiv, oft überschäumend, geben aber andererseits bei Schwierigkeiten nicht gleich auf und lieben es, Verantwortung zu übernehmen. Emilie traut sich zu, den Nachmittag mit ihrer Freundin selbst zu organisieren. Sicher wird sie später auch in der Schule vieles wie selbstverständlich eigenständig bewältigen, wofür andere noch längere Zeit Unterstützung brauchen. Überfürsorge und dauernde Kontrolle sind daher sehr mühsam, ja geradezu kontraproduktiv für Kinder wie Emilie. Hätte Gerda darauf bestanden, das Telefonat für Emilie zu übernehmen, wäre es wahrscheinlich zu einem trotzigen Ausbruch gekommen, der kaum mehr zu stoppen gewesen wäre. Emilie kann und muss man mehr „loslassen“ als andere Kinder. Insgesamt brauchen cholerisch veranlagte Kinder wenige, aber umso festere Regeln, weil es ihnen oft sehr schwer fällt, sich an diese zu halten.

Meist ist es hilfreich, dem Kind von vornherein klar abgesteckte Wahlmöglichkeiten anzubieten, an denen man dann aber wirklich festhalten sollte. Ein cholerisch veranlagtes Kind diskutiert gerne und findet dabei kein Ende. So ist es nicht ratsam, sich auf stundenlange Diskussionen einzulassen, bis man eventuell selbst die Fassung verliert oder verärgert in einem Punkt nachgibt, bei dem man fest hätte bleiben sollen. Besser ist es, rechtzeitig selbst der Dis kussion ein Ende zu setzen. Für Kinder wie Emilie ist es oftmals sehr schwer, ja beinahe „unmöglich“, einen Fehler zuzugeben oder sich zu entschuldigen. Das muss ihnen daher immer wieder vorgelebt und in kleinen Schritten mit ihnen geübt werden. Manchmal haben cholerische Kinder zu wenig Einfühlungsvermögen für andere Menschen und zeigen wenig Mitgefühl. Daher hilft es , oft darüber zu sprechen, wie es einem anderen geht, was er/sie fühlen könnte. Wie bei jedem Kind ist positives Feedback wichtig – besonders wenn es dem cholerischen Kind einmal gelingt, seine überschäumenden Emotionen in den Griff zu bekommen.

Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.