Erziehung zur inneren Freiheit

Die fünfjährige Carla und der dreijährige Peter sitzen in einem Meer von Bauklötzen und spielen mit roten Wangen zufrieden mit ihren Holzfiguren. Ihre Mutter Silvia betritt das Zimmer: „Oh, da habt ihr aber zwei tolle Häuser gebaut! Es ist jetzt aber bald halb sechs – wir werden gleich aufräumen. Eure schönen Häuser könnt ihr stehen lassen und bei den nicht verwendeten Klötzen schauen wir, wie schnell wir es schaffen, alle in die Kiste zu räumen. Ich zähle!“

Vieles, was Eltern von ihren Kindern verlangen, hatsowohl ein kurzfristiges als auch ein langfristiges Ziel. „Aufräumen“ zum Beispiel dient natürlich dazu, Ordnung zu schaffen, damit sich alle wohl fühlen, der Alltag erleichtert wird und Kinder schließlich lernen, selbst Ordnung zu halten. Längerfristig ist „Aufräumen“ außerdem ein kleiner Stein im großen „Mosaik“ der Formung des Willens als Voraussetzung dafür, mit innerer Freiheit handeln zu können.Der menschliche Wille ist von sich aus darauf ausgerichtet, das Gute zu tun. Zusammen mit dem Verstand ist der Wille entscheidend für die Ausübung unserer Freiheit. Kinder sollen lernen, nicht „Spielball“ ihrer Launen oder ihrer kurzfristigen Bedürfnisse zu sein. So ist die Erziehung des Willens eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern. Sie besteht aus vielen kleinen Schritten im Alltag des Kindes von klein auf. Deshalb ist es gut, wenn es für Carla und Peter eine klare Regel gibt, dass normalerweise ab halb sechs aufgeräumt wird, auch wenn beide noch gerne weiter spielen würden. Ihre Mutter motiviert sie mit dem kleinen Trick einer Art „Wettspiel“ – „Wie schnell schaffen wir es gemeinsam?“, was gerade bei Kleinkindern meist gut ankommt. Positive Motivation und gute Laune bei gleichzeitiger Festigkeit in der Regel sind dabei sehr wichtig. So lernen Carla und Peter, sich zu überwinden und ein lustiges Spiel zu beenden, bis zum letzten Stein durchzuhalten und eine bekannte Regel zu befolgen. Es gibt noch viele andere „Mosaiksteine“, die Eltern im Laufe des Tages nützen können, um dem Kind zu helfen, seinen Willen zu stärken. Einige Beispiele: sitzen bleiben beim Essen, das aufessen, was das Kind sich selbst genommen hat, keine dauernden Mini-Snacks zwischen den Mahlzeiten, warten, bis man an die Reihe kommt oder bis Mami fertig telefoniert hat, durchhalten, bis man beim Anziehen den Knopf durch das Knopfloch gebracht oder das Puzzle fertig hat, beim Einkaufen nicht jedes Mal das bekommen, was man gerade gesehen hat, kleine bis kleinste Aufgaben im Haushalt übernehmen und regelmäßig erfüllen, und ähnliches. Diese einzeln gesehen scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten im Alltag des Kindes sind während der ersten Lebensjahre tolle Gelegenheiten, den Willen des Kindes zu erziehen und zu stärken. So wird das Kind bis zum Schulalter nicht mehr von momentanen Launen hin- und hergeworfen, entwickelt Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit und die Fähigkeit, sich in Gruppen zu integrieren, was auch wichtige Voraussetzungen für eine geglückte Schulzeit sind. Gleichzeitig ist der Grundstein dafür gelegt, die nötige innere Freiheit zu entwickeln, um sich auch in schwierigen Situationen für das Gute entscheiden zu können.

 

Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.