Erika möchte gerne wieder einmal wie früher – vor der Geburt ihrer Tochter – mit ihren Freundinnen ins Theater gehen. Aber seit mehr als zwei Jahren ist das nicht mehr möglich, weil ihre kleine Susanna schrecklich zu weinen beginnt, wenn Erika auch nur den Mistkübel austragen geht und Susanna einstweilen bei Papi bleiben soll. Und überhaupt kann die Kleine auch nur von Mami ins Bett gebracht werden, sonst gibt es Tränen. „Sie hängt einfach so an mir“, seufzt Erika. „Wie wird das bloß werden, wenn sie in den Kindergarten soll?“
In den ersten Lebensmonaten ist es enorm wichtig, dass der Säugling eine sichere Bindung zu seinen Haupt-Bezugspersonen aufbauen kann. Die Verlässlichkeit dieser Personen ist grundlegend für das Urvertrauen, durch das sich das Kind sicher und geborgen fühlt. Es erlebt, dass seine Bedürfnisse erkannt und gestillt werden und dass immer jemand da ist. Im Kleinkindalter ist es wichtig, dass die Eltern und auch andere Bezugspersonen in ihrem Verhalten für das Kind klar verständlich sind und sich auch daran halten, was sie dem Kind gesagt haben. Immer wiederkehrende Rituale sind besonders geeigne t, dem Kind Sicherheit zu vermitteln. So wäre es gut, wenn es für Susanna ein Zubettgehen-Ritual gibt, das von Anfang an auch mit Papi stattfinden kann. Gerade für Väter ist es bereichernd, wenn sie in die Betreuung und Versorgung ihres Kindes eingebunden sind, wo auch immer es möglich ist. Trotzdem kommt es manchmal vor, dass es scheint, dass ohne Mami gar nichts geht. Hier kann es helfen, einmal in Ruhe darüber nachzudenken, wie sich das mit der Zeit eingebürgert hat. Hat es vielleicht mit der Stillzeit begonnen, in der das Baby nur durch Stillen einzuschläfern war und hat sich daraus dann ein anderes – eigentlich nicht mehr notwendigerweise nur mit der Mutter mögliches – Ritual eingespielt? Hat Erika unbewusst das Gefühl, dass sie immer für Susanna da sein muss, weil sie eher ihre Bedürfnisse erkennen kann als ihr Mann? Oder hat Susannas Papi mit der Zeit aufgegeben, sich um die alltägliche Versorgung von Susanna zu kümmern, weil er es in den Augen von Erika nie „richtig” gemacht hat?
Wichtig ist auch, dass Eltern sich sehr sicher sind in dem, was sie ihrem Kind zumuten wollen, und dies auch dem Kind mit Festigkeit kommunizieren. Erika könnte schon am Nachmittag Susanna damit vertraut machen, dass sie abends nicht da sein wird . „Liebling, heute bringt dich Papi ins Bett, weil ich mit meinen Freundinnen ins Theater gehe. Ich komme zurück, wenn du schon schläfst, und gebe dir ein dickes Bussi“. Dabei ist es wichtig, dass Erika sich im Klaren ist, dass sie ihrem Kind nichts Schlimmes antut, wenn es heute von seinem Vater ins Bett gebracht wird. Nein, im Gegenteil, es ist eine tolle Chance für Susanna und ihren Papi, enger zusammenzuwachsen, und für die Kleine, die Möglichkeit zu erleben, dass die Welt nicht zusammenbricht, wenn Mami kurz nicht da ist. Gleichzeitig ist es für Erika selbst eine wichtige Erholung vom Alltag, um wieder neue Perspektiven zu haben und Sozialkontakte zu pflegen. Reagiert Erika jedoch nervös oder mit inneren Zweifeln, sobald Susanna zu weinen beginnt, schaukelt sich alles auf, weil das Kind die Unsicherheit seiner Mutter spürt und ganz verunsichert wird. Susanna braucht die innere Sicherheit ihrer Mutter und ihr entschiedenes Handeln, damit sie sich in der ungewohnten Situation trotzdem sicher fühlt und von Papi im Abschiedsschmerz trösten lassen kann.
Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.