Marion und Chris gehen nur mehr ungern mit ihrem dreijährigen Fabian auf den Spielplatz. Seit einigen Wochen können sie nämlich Fabian in Anwesenheit anderer Kinder nicht mehr aus den Augen lassen, weil er oft ohne ersichtlichen Grund plötzlich andere Kinder beißt. Chris schimpft dann jedes Mal mit Fabian und setzt sich neben ihn, um aufzupassen, dass er niemandem mehr weh tut. Marion möchte immer, dass sich Fabian bei seinem “Opfer” entschuldigt, was sie meist erst nach längerem guten Zureden erreicht. Heute wurden sie sogar mit einem “Achtung! Da kommt Fabian, der Beißer” am Spielplatz empfangen.
Manchmal entwickeln Kinder Verhaltensmuster wie Schlagen, Beißen, Zwicken oder auch anhaltendes Losschreien oder Weinen, die – vor allem dann, wenn sie sich gegen andere richten – nicht gebilligt werden können. Wenn Eltern versuchen, dieses unerwü nschte Verhalten zu korrigieren, scheint es sich oft noch zu verstärken. Was geht in einem Kind wie Fabian vor? Alles könnte beispielsweise so angefangen haben: Fabian hat einmal aus Wut oder auch aus Nachahmung ein Kind gebissen. Daraufhin kam “Bewegung” in die Situation. Der Gebissene fing an zu weinen und seine Mutter kam angelaufen; ebenso Fabians Mutter, welche ihn erschrocken fragte, was los sei, ihm dann erklärte, dass er das nicht tun dürfe und dass er sich entschuldigen solle.
Einige Zeit später hat Fabian nochmals ein Kind gebissen – einfach um zu sehen, ob das wieder dieselbe Wirkung auf seine Umgebung hätte wie beim ersten Mal. Hier ist nun der entscheidende Moment. Wenn Marion ihm jetzt noc h genauer erklärt, warum er nicht beißen soll, er sich vielleicht noch länger bitten lässt, bis er sich entschuldigt und der Vater zusätzlich neben ihm “Wache” hält, dann bekommt das Beißen für Fabian den entscheidenden Vorteil, dass er viel (wenn auch negative) Aufmerksamkeit bekommt und im Mittelpunkt steht. Falls das die nächsten Male auch so “gut klappt”, verfestigt sich dieses Fehlverhalten von Fabian. Wichtig wäre deshalb, dass Marion und Chris möglichst bald diese “Bonusschleife des Negativen” unterbrechen und eindeutige Grenzen setzen. Eine Möglichkeit wäre, als Eltern selbst das Entschuldigen bei dem gebissenen Kind zu übernehmen und Fabian einen Platz alleine an einem anderen Spielgerät zuzuweisen – mit der Versicherung: “Wenn du wieder bereit bist, ohne zu beißen mit den anderen Kindern zu spielen, können wir es noch einmal versu chen”. Falls Fabian dann nochmals einen “Beiß- Test” durchführt, sollten Marion und Chris ruhig und bestimmt eine noch deutlichere Konsequenz aus Fabians Verhalten ziehen: “Leider kannst du offensichtlich heute nicht ohne zu beißen mit den anderen Kindern spielen. So werden wir jetzt nach Hause gehen.” Von diesem Entschluss sollten sie sich dann weder durch Schreien noch durch Entschuldigungen abbringen lassen. Es ist gut, wenn die Eltern möglichst gelassen und ohne viel Aufhebens, aber bestimmt Fabian aus dem Umfeld der anderen Kinder entfernen – ohne sich nochmals auf Diskussionen einzulassen. Je konsequenter Marion und Chris bleiben, desto schneller wird Fabian mit dem Beißen aufhören, weil er keinerlei Vorteil durch dieses Verhalten erreichen kann.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich die Eltern für Fabian Möglichkeiten der positiven Zuwendung überlegen. Diese Zuwendung sollte jedoch in deutlichem ZeitAbstand zu dem unerwünschten Verhalten sein. Also zum Beispiel wenn die Familie nach dem Spielplatzbesuch wieder zuhause ist. So wird Fabian bald merken, dass es viel schöner ist, eine entspannte und lustige Zeit mit seinen Eltern zu verbringen, als sich durch unangemessenes Verhalten negative Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.