Verlässlichkeit

Erika ist gerade dabei, sich und den dreijährigen Luca fertigzumachen, um auf den Spielplatz zu gehen und dann noch schnell vor Geschäftsschluss ein paar Dinge für das Abendessen einzukaufen. Plötzlich läutet ihr Mobiltelefon: Ihre Freundin Gerda will ihren Ärger im Büro mit ihr teilen. Erika versucht mit eingeklemmtem Telefon, nebenbei Luca die Schuhe anzuziehen, was aber nicht wirklich gelingt. Endlich, nach sieben Minuten, kann Erika das Telefonat beenden. „Luca, muss das sein? Wieso lässt du dir die Schuhe nicht anziehen? Das Geschäft sperrt gleich zu!“, schimpft Erika. „Nein, Spielplatz! Schaukeln!“, erinnert Luca seine Mama an ihr Versprechen von vor dem Anruf. – „Nein, Luca, das geht sich jetzt nicht mehr aus. Komm jetzt!“

Ziemlich sicher werden Luca und seine Mama das Geschäft nicht mehr rechtzeitig erreichen. Erika hat ihrem Sohn etwas in Aussicht gestellt, was sie jetzt durch eine unvorhergesehene Einwirkung von außen nicht einhalten kann. Ohne Luca zu informieren, verwirft Erika den ursprünglichen Plan und verlangt von Luca Kooperation, die er höchstwahrscheinlich verweigern wird. Solche Situationen sind für ein Kind doppelt frustrierend. Einerseits scheint die unsichtbare Person am Telefon so wichtig zu sein, dass Mama durchaus die anscheinend so knappe Zeit mit ihr „verschwenden“ kann. Andererseits wird das Schaukeln, auf das Luca sich so gefreut hat, kommentarlos gestrichen. Luca zählt nicht – zumindest nicht so wie dasTelefon.

Was hätte Erika anders machen können? Erstens müssen sich Eltern in unserer Zeit der ständigen Erreichbarkeit über alle möglichen Medien ernsthaft überlegen, wann es angebracht ist, ihrem Kind und auch ihrem Ehepartner 100 % ungestörte Aufmerksamkeit zu widmen und wann eine Unterbrechung von außen angenommen werden kann. Lassen Sie sich Ihre Familienzeit nicht unkontrolliert und unreflektiert beschneiden! Zweitens kann es natürlich vorkommen, dass Eltern kurzfristig ihre Vorhaben mit ihrem Kind ändern müssen. Entscheidend ist, dass sie das dann auch kommentieren. Erika könnte sagen: „Tut mir leid, Luca, jetzt habe ich zu lange mit meiner Freundin gesprochen! Wir müssen jetzt sofort zum Geschäft eilen, aber wir versuchen, dass wir danach noch schaukeln gehen! Okay?“ Dabei ist es für das Kind entlastend, wenn die Eltern ihre eigene Verantwortung für die Situation auch benennen – also in „ich habe“-, „ich möchte“-Sätzen sprechen und nicht in unpersönliches „es ist zu“ oder „das geht nicht“ ausweichen. Verlässlichkeit ist ein wichtiger Faktor, damit sich Kinder in ihrer Bindung zu den Eltern sicher fühlen. Dazu gehört besonders die Verlässlichkeit in Abmachungen und Familienregeln jeder Art, aber auch die Berechenbarkeit von Emotionen und Verhalten. Eltern, die aus (für das Kind) „heiterem Himmel“ plötzlich schlecht gelaunt und aufbrausend sind oder heute dies und morgen das fordern, verunsichern das Kind. Kommt dies häufig vor, reagieren Kinder entweder wütend und aggressiv oder passiv mit ängstlichem Rückzug.

Eltern sollen für das Kind in ihren Reaktionen und Regeln möglichst konstant und berechenbar sein. Fühlt sich das Kind sicher und geborgen, kann es offen auf andere zugehen. Änderungen, die verständlich und der Wirklichkeit entsprechend erklärt werden, können sie leichter verkraften und dadurch zugleich Flexibilität erlernen.

Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.