Maria kommt weinerlich zu ihrer Mutter Carmen ins Bad gelaufen. „Was ist denn los, mein Liebes“ – „Die Milch […] ist umgefallen!“, erklärt die Kleine. – „Das können wir sicher gleich wieder in Ordnung bringen, komm, schauen wir mal!“ In der Küche ist der Tisch halb aufgedeckt und das kleine Milchkännchen offes ichtlich bei Marias Versuch einzuschenken umgekippt. Ein kleiner Milchsee ist Richtu ng Tischkante unterwegs. Carmen reicht ihrer Tochter ein paar Blätter Küchenrolle und sagt aufmunternd: „Schau, damit kannst du die Milch aufwischen. Gut, dass du mich gleich geholt hast!“ Maria lächelt ihre Mutter erleichtert an und beginnt mit der „Arbeit“. Carmen streichelt ihr über den Kopf und sagt: „Ich finde es toll, wie du den Tisch gedeckt hast! Du bist eine große Hilfe für mich!“
Es ist sehr aufbauend für Kinder, wenn es Eltern gelingt, auch bei einem Missgeschick ruhig zu bleiben und dabei das Positive nicht aus den Augen verlieren. Natürlich ist das für Eltern manchmal eine große Herausforderung und es gelingt ihnen nicht immer so gut wie Carmen an diesem Morgen. Deshalb kann es hilfreich sein, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie wichtig es für ein Kind ist , oftmals durch positives Feedback ermutigt zu werden . In den ersten Lebensjahren entwickelt sich das Selbstbild des Kindes aus dem, was seine Umwelt ihm widerspiegelt. Würde Carmen ihrer ohnedies schon verunsicherten Maria mit einem „Na, geh! Kannst du nicht warten, bis ich im Bad fertig bin! Du kannst das nicht alleine! Setz dich hin, ich muss jetzt erst mal alles aufputzen!“ anfahren, wäre das für Maria eine ganz andere Botschaft. Diese würde es ihr nicht leicht machen, sich wieder einmal etwas zuzutrauen. Mit weiteren ähnlichen Erfahrungen wäre ihr Selbstbild mit der Zeit negativ: „Ich bin nicht gut genug. Ich warte besser, bis mir jemand hilft. Bei mir geht alles schief. Ich mache womöglich etwas falsch.“ Für ein positives Selbstbild ist es förderlich, für das Kind von klein auf passende Möglichkeiten zur Mithilfe im Familienalltag zu suchen. Dadurch fühlt sich das Kind wichtig und gebraucht, hat kleine Erfolgserlebnisse, lernt aber auch, dass Missgeschicke überwunden werden können.
Wichtig ist, dass man das Kind anleitet und ihm zeigt, wie die Dinge richtig gemacht werden. Trotzdem sollte man keinesfalls sofort Perfektion erwarten, sondern dem Kind auch immer wieder helfen, Fehler – wenn irgendwie möglich – selbst zu überwinden und langsam geschickter zu werden. Meist geht es dabei um kleine Dinge, bei denen Eltern zusätzlich auf einfache Weise die jeweiligen Stärken des Kindes hervorheben können. Ein Kind ist zum Beispiel sehr kreativ und kann für die Tischdekoration zuständig sein, ein anderes hat einen praktischen Sinn für Ordnung und kann den Kühlschrank nach dem Einkauf sinnvoll einräumen. Das Kind merkt: „Ich bin wichtig, ich gehöre dazu. Ich kann schon vieles.“
Selbstverständlich soll das Kind auch sonst viel po sitive Rückmeldung bekommen. Gleichzeitig ist es jedoch von Bedeutung, dass die Anerkennung auch „au thentisch“ ist. Eltern sollen nicht leichtfertig alles loben und toll finden. Viel mehr wert ist ein e überlegte und echt zutreffende Anerkennung. Eltern müssen zum Beispiel nicht jedes nur hingekritzelte Bild „super“ finden. Besser ist es, wenn man sich die Mühe macht, das herauszufinden, was heute beson ders ist – zum Beispiel: „Mir gefällt, wie viel Mühe du dir mit diesem Baum gegeben hast“. Je mehr sich Eltern gerade der Stärken ihres Kindes bewusst werden und diese auch für das Kind hervorheben, desto leichter werden auch die Schwächen gemeinsam überwunden werden können.
Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.