Boris unterhält sich mit seinem Freund Max in der Bauecke des Kindergartens: „Ich mag gar nicht mehr in die Schule kommen! Oma sagt, da muss man immer folgen und Hausübungen machen, sonst schimpft die Lehrerin!“ – „Ach, Quatsch! Mein Papa sagt, da lernt man ganz interessante Sachen und ich kann dann meine Bücher selber lesen!“, wendet Max ein. – „Ich hab‘ mit meiner Mama auch schon Buchstaben geübt!“, beteuert Boris.
Am Ende der Kindergartenzeit ist das Kind vielen Veränderungen ausgesetzt. Einerseits stehen der immer näher kommende Abschied von den gewohnten Bezugspersonen und die große Unbekannte namens „Schule“ im Raum. Andererseits erfährt das Kind rund um das sechste Lebensjahr einen beachtlichen körperlichen, geistigen und sozialen Entwicklungsschub. Diese Veränderungen sind eine große Herausforderung für das Kind und die Ursache der sogenannten „Sechsjahreskrise“. Das Kind fühlt sich unsicher und ist oft unausgeglichen, manchmal auch rebellisch, will sich nicht mehr an Regeln halten, die bis vor kurzem kein Problem darstellten, und macht freche Bemerkungen. Es kann aber auch sein, dass sich das Kind durch dieseäußere und innere Überforderung eher zurückzieht und niedergedrückt wirkt. In jedem Fall braucht das Kind in dieser Phase viel Verständnis und Ermutigung, aber auch sehr klare Regeln, die ihm Orientierung geben. Keinesfalls sollte der bevorstehende Schulbesuch als Druckmittel für gutes Benehmen missbraucht werden, nach dem Motto: „Du wirst schon sehen. In der Schule kannst du nicht mehr so […]“. Boris‘ Unsicherheit wird so nur verstärkt und „Schule“ wird schon negativ besetzt, bevor er sie noch richtig betreten hat. Besser als „Buchstaben zu üben“ ist es, dem Kind oft Bücher vorzulesen und viel Bewegung zu ermöglichen – springen, laufen, klettern, balancieren, rangeln, werfen, wodurch die Muskelkoordination trainiert wird, was für das Schreiben wichtig ist.
Um die Konzentrationsfähigkeit zu fördern, ist es gut, dem Kind zu helfen, Dinge fertig zu machen – das Puzzle, die Zeichnung, das Spiel. Hilfreich istes außerdem, dem Kind spätestens mit fünf Jahren kleine Aufgaben im Familienleben zu übertragen. Auch wenn es für Eltern manchmal mühsam ist, macht es einem Kind viel Freude, wenn es sich als wichtiger Teil der Familie fühlt, der Verantwortung trägt. Das Vertrauen in seine eigene Leistungsfähigkeit wird dadurch gestärkt, was für die Schule sehr wichtig ist. Eine Erleichterung ist es, wenn das Kind schon längere Zeit vor Schulbeginn daran gewöhnt wird, Alltagsverrichtungen wie Anziehen, Toilettengang, Händewaschen, Vorbereiten der benötigten Sachen zum Weggehen und Aufräumen eines Spiels selbständigzu verrichten. Wenn sich das Kind hier souverän und sicher fühlt und in diesen Dingen nicht aufHilfe angewiesen ist, nimmt das viel Stress aus der ersten Schulzeit. Ein geregelter Tagesablauf, der nicht mit zu vielen Aktivitäten überfrachtet ist undausreichenden Schlaf sicherstellt, ist eine wichtige Basis für ein ausgeglichenes Schulkind. Bei Max ist es durch die positive Vermittlung der Eltern gelungen, dass er sich darauf freut, etwas Neues zu lernen und zu können – so sollte Schule sein.
Dr. Alexandra Schwarz ist Eltern- und Erziehungsberaterin,
Moderatorin der GFO und Mutter von sieben Kindern.